Privatwissenschaftliches Archiv

Bienenkunde, Landau/Pf.


 

Schweizerische Bienen-Zeitung 124 (2001), Heft 8, S. 24-27:

 

 

Woher weiss eine Sammelbiene, daß ihr Volk hungert?

 

von Ulrike und Tobias Stever

 

 

 

Betrachtet man die innere Organisation eines Bienenvolkes, so sind mindestens zwei verschiedene Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen gibt es die individuelle Biene, welche die ihr zufallenden Aufgaben zu erledigen hat. Zum anderen ist aber auch das Bienenvolk als Gesamterscheinung zu betrachten, wie es bereits Gerstung mit seiner Bezeichnung „der Bien“ zum Ausdruck gebracht hat.

Besonders deutlich wird dieser Doppelaspekt bei der Betrachtung der inneren Organisation eines Bienenvolkes. Denn eine zentrale Instanz, welche die innere Ordnung sicherstellt und überwacht, ist im Volk eigentlich nicht vorhanden. Deshalb versuchen Wissenschaftler schon seit vielen Jahren, einige der grundlegenden (und zugleich auch faszinierenden) Fragen zu klären:

  • Wieso können Zehntausende einzelner Bienen scheinbar unkoordiniert zusammenarbeiten?

  • Warum kommen sie offensichtlich ohne eine Kontrollinstanz aus, die die Befriedigung der Bedürfnisse des gesamten Volkes überwacht?

  • Wie erkennen die einzelnen Bienen die Bedürfnisse, die das Volk hat?

  • Welche Signale sind nötig, damit die einzelne Biene ihre Aufgabe erkennt und ausführt?

 

Im folgenden Beitrag werden ältere und jüngere Untersuchungen vorgestellt, in denen von verschiedenen Wissenschaftlern versucht wurde, Antworten auf diese Fragen zu finden. Da das Phänomen der Arbeitsteilung im Bienenvolk äußerst komplex und umfangreich ist, sollen beispielhaft nur einige Zusammenhänge um die Sammelbienen dargestellt werden.

 

Arbeitsteilung

 

In einem Bienenvolk kann man jederzeit viele verschiedene Verhaltensweisen bei den einzelnen Arbeiterinnen vorfinden. Das reicht von der Aufzucht der Brut über den Bau von Waben, über die Verteidigung des Volkes bis zum Sammeln von Nektar und Pollen. Dabei erfüllen die jüngeren Bienen während der ersten zwei bis drei Wochen ihres Lebens hauptsächlich Aufgaben innerhalb des Stockes wie Brutpflege und Wabenbau. Sie entwickeln sich dann weiter und werden für die übrige Zeit ihres kurzen fünf- bis sechswöchigen Lebens zu Sammelbienen. Weil gewöhnlich bestimmte Aufgaben zu bestimmten Lebensabschnitten gehören, sagt man, bei Honigbienen gäbe es eine Arbeitsaufteilung nach Altersgruppen.

Diese altersabhängige Arbeitsteilung hat u. a. Ferdinand Gerstung bereits vor über hundert Jahren festgestellt. Allerdings ging er noch davon aus, daß die Verteilung der Aufgaben im Volk unumstößlich feststeht. Dies ist jedoch nicht der Fall: Wenn es die Situation im Volk erfordert, können Arbeiterinnen auch von ihrem vorgezeichneten Entwicklungsweg abweichen. Dies tritt beispielsweise dann ein, wenn im Frühjahr ein Bienenvolk fast nur noch aus alten Winterbienen besteht. Wenn dann die erste Brut des Jahres schlüpft und Winterbienen in großer Zahl sterben, sinkt das Durchschnittsalter des Volkes in kurzer Zeit sehr schnell ab. Auf diese Weise entsteht eine Lücke an erfahrenen Sammelbienen. Deshalb müssen einige der jüngeren Bienen früher als üblich auf Trachtsuche fliegen, sie werden sozusagen „frühreife“ Sammelbienen.

 

Umschulungsprozess

 

Auch im Experiment läßt sich diese Verhaltensänderung von jungen Bienen provozieren: Man kann kleine Versuchsvölker aus 1500-2000 Bienen erstellen, die anfänglich nur aus einem Tag alten erwachsenen Bienen bestehen. Da keine erfahrenen Sammelbienen im Volk vorhanden sind, beschleunigen einige Bienen ihre Entwicklung, werden „frühreife“ Sammelbienen und fliegen verfrüht auf Trachtsuche. Es ist also möglich, Verhaltensänderungen bei Arbeiterinnen herbeizuführen. Dennoch ist bisher unbekannt, wie im Volk Entscheidungen herbeigeführt werden, welche Biene verfrüht eine Sammelbiene wird und welche auf dem üblichen Entwicklungspfad bleibt. Es gibt bisher nur die Vermutung, daß innerhalb des Stockes Signale existieren, die die Bienen bei dieser Festlegung leiten.

 

Wissen, was zu tun ist

 

Die Annahme, die Königin wäre die Herrscherin im Bienenstock, ist nicht ganz richtig. Zwar hält sie durch ihre Pheromonausschüttung das Bienenvolk zusammen und verhindert damit u. a. den Schwarmtrieb. Einfluß darauf, welche Arbeit eine Arbeiterin ausführen soll, hat sie nicht. Ihre Hauptaufgabe ist das Legen der Eier, damit junge Bienen entstehen und sich das Volk vermehren kann. Führt man sich vor Augen, daß ein Bienenvolk aus mehreren zehntausend Einzeltieren bestehen kann, so läßt sich leicht vorstellen, daß ein einziges Individuum mit der detaillierten Führung dieser Gruppe überfordert wäre. Die Arbeiterin muß ihre „Arbeitsanweisung“ also auf einem anderen Weg bekommen.

 

Abbildung 1: Gewöhnlich fliegen die ältesten Bienen aus, um Nektar, Pollen und Wasser zu sammeln. Außergewöhnliche Umstände im Bienenvolk können aber dazu führen, dass diese Ordnung verändert wird.

Auf Patrouille

 

1952 beobachtete Martin Lindauer einige markierte Bienen und schrieb über mehrere Tage hinweg alles auf, womit sich diese beschäftigten. Er stellte dabei fest, daß sie über lange Zeit scheinbar ziellos durch den Stock wanderten. Er interpretierte dieses Verhalten so, daß die Bienen auf der Suche nach zu erledigenden Aufgaben sind. Deshalb nannte er dieses Verhalten „patrouillieren“. Denn während dieser Zeit wurden die Waben inspiziert, um festzustellen, ob sie sauber und ggf. zu reinigen sind und die Larven kontrolliert, um festzustellen, ob diese gefüttert werden müssen. Lindauer verfolgte damals eine einzige Biene 177 Stunden lang und stellte fest, daß sie davon 56 Stunden durch den Stock patrouillierte. Er fand auch heraus, daß jede Inspektionstour zu einer Aktivität der Arbeiterin führte. Aus diesem Beobachtungen schloß Lindauer, daß jede Biene ihre Information über dringende Aufgaben selbst gewinnt, indem sie den Stock durchsucht.

Die Hauptaufgabe des Patrouillierens scheint es also zu sein, daß die Biene nach einer Arbeitsaufforderung (oder einem Signal) sucht, die ihr signalisiert, was sie zu tun hat. Im Umkehrschluß läßt sich aus dieser Annahme folgern, daß zu jeder Aufgabe ein Signal gehört, das dieser direkt zugeordnet ist.

 

Signale zur Nahrungssuche

 

Mögliche Zusammenhänge zwischen Signalen innerhalb des Bienenvolkes und den dazugehörigen Verhaltensweisen der Stockbienen lassen sich relativ gut nachvollziehen. Die Brut kann beispielsweise mit ihren Ammenbienen über Pheromone kommunizieren und Müll in den Waben ist ein offensichtliches Zeichen dafür, daß diese geputzt werden müssen.

Aber wie sieht es mit den Signalen aus, welche die Nahrungssuche auslösen sollen. Hierbei fällt einem zunächst der Schwänzeltanz ein. Bei diesem handelt es sich jedoch um ein Rekrutierungsverhalten der heimkehrenden Sammelbienen. Mit Hilfe des Tanzes wollen sie von Artgenossinnen, die schon mit Futtersuche beschäftigt sind, Unterstützung erbitten. Dagegen setzt die Entwicklung „frühreifer“ Sammelbienen in den beschriebenen Versuchsvölkern ein, obwohl es noch keine Tänzerinnen gibt. Es muß daher im Stock außer den Tänzen noch andere Signale geben, die die Nahrungssuche auslösen.

Anfang der 90er Jahren haben Jennifer Fewell und Mark Winston im Experiment gezeigt, daß Veränderungen im Futtervorrat des Volkes kurzfristige Änderungen im Sammelverhalten auslösen können: Nimmt man einem Bienenvolk seinen Pollenvorrat weg, so steigern die Sammelbienen ihre Leistung beim Pollensammeln. Der größte Teil der Leistungssteigerung wird durch rasche Erhöhung der Leistung einzelner Bienen erreicht. Das heißt, daß keine neuen Bienen auf Pollensuche ausfliegen, sondern daß die bereits damit beschäftigten Bienen schneller fliegen und mehr Pollen in den Stock bringen. Diese Pollensammlerinnen haben im Stock ein Signal wahrgenommen, der ihnen mitteilt hat, daß Mangel an Pollen herrscht und daß sie ihr Sammelverhalten anpassen müssen.

Die genauen Zusammenhänge dieses Signals sind noch unbekannt. Aber er muß im Stock vorhanden sein, da sich das Volk des Experimentes und die Kontrollvölker nur durch den fehlenden Pollen im Stock unterschieden. Deshalb läßt sich aus den Beobachtungen schließen, daß die Signale, die das Sammelverhalten beeinflussen, im Stock existieren und daß die Sammelbienen diese auch wahrnehmen und umsetzen können.

 

Knapper Futtervorrat motiviert Sammelbienen

 

Fewell und Winston haben gezeigt, daß der Entzug von Pollen in einem Volk das Verhalten der Sammlerinnen beeinflußt. Was aber geschieht, wenn es im Volk es nicht genug Sammelbienen gibt, um diesen Mangel zu beseitigen? David Schulz, Gene Robinson und Zachary Huang konnten beobachten, daß der Futtermangel in einem Volk die Entwicklung von Sammelbienen beeinflußt. Sie bildeten Versuchsvölker, die anfangs keine Futtersammlerinnen hatten. Diese Völker waren entweder nahe am Verhungern oder wurden von ihnen gut gefüttert. Während der folgenden drei Tage zählten sie in jedem Volk, wie viele „frühreife“ Sammelbienen sich entwickelt hatten. Das Ergebnis war, daß die Bienen in den hungernden Völkern früher mit der Futtersuche begannen. Zudem wuchsen sehr viel mehr Sammelbienen heran als in den gut gefütterten Versuchsvölkern. Einige der Sammlerinnen aus den hungernden Völkern waren gerade vier Tage alt, als sie zum ersten Mal zu einem Sammelflug starteten. Dies ist äußerst früh im Vergleich zu Sammelbienen aus „normalen“ Völkern, die erst nach drei Wochen mit der Futtersuche beginnen. Aus den Beobachtungen schlossen die Wissenschaftler, daß Bienen ihre Verhaltensentwicklung ändern und schon sehr jung auf Futtersuche gehen können, wenn es erforderlich ist, einen lebensbedrohlichen Zustand für das Bienenvolk abzuwenden.

 

Satte Bienen in hungernden Völkern

 

Im folgenden haben sich die drei Forscher mit der Frage beschäftigt, wie die Bienen erkennen können, daß Futtermangel in einem Bienenvolk herrscht:

Wenn eine Biene durch den Stock patrouilliert und immer wieder auf leere Zellen stößt, ist dies möglicherweise ein Hinweis für sie, daß das Volk dringend Nahrung benötigt. Um diese Idee zu überprüfen, wurden Völker aus jungen Bienen gebildet, in denen sich gefütterte Bienen ohne Futtervorräte befanden. Den Bienen wurde Flüßigfutter bereitgestellt, von dem sie soviel aufnehmen konnten, wie sie wollten. Die Waben wurden jedoch so manipuliert, daß eingelagertes Futter in regelmäßigen, kurzen Abständen durch kleine Löcher auf der Rückseite abgesaugt werden konnte. Dadurch waren die Bienen selbst gut genährt, aber das Volk besaß nur leere Waben. Die Beobachtung dieser „gut genährten Bienen in hungernden Völkern“ ergab, daß sie Sammlerinnen in gleichem Alter und gleicher Zahl hervorbrachten wie gut gefütterte Kontrollvölker. Allerdings bildeten sie erheblich weniger Sammelbienen als ungenügend gefütterte Völker. Daraus kann man folgern, daß leere Waben nicht der Schlüsselreiz sind, aus dem die Bienen auf Futtermangel schließen, denn für sie selbst löste er kein Verhungern aus. Das macht im Zusammenhang mit dem Leben im Volk Sinn, da es Zeiten gibt, in denen ein Volk keine Waben hat. Zum Beispiel sind Waben kurz nach dem Schwärmen eine unzuverlässige Quelle für Signale in Bezug auf Futtermangel.

Eine andere Möglichkeit wäre, daß ausgehungerte Bienen einen Geruch hervorbringen, der durch den Stock zieht. Diese Pheromone könnten die Entwicklung beschleunigen und frühreife Sammlerinnen verursachen. Deshalb wurden in Versuchen gut gefütterten Bienen dem Geruch von ausgehungerter Bienen ausgesetzt. Allerdings brachten sie gleichaltrige Sammlerinnen hervor wie gut gefütterte Kontrollvölker. Der Geruch beschleunigte ihre Entwicklung also nicht. Das legt nahe, daß es keine Signale für Hunger gibt, die auf Geruch basieren.

Die Wissenschaftlergruppe glaubt deshalb, daß die beiden wahrscheinlichsten Auslöser für diesen Hungereffekt direkte Auswirkungen auf die einzelne Arbeitsbiene und Veränderungen im sozialen Verhalten der Arbeitsbienen durch Futtermangel sind. Ihre einfachste Erklärung ist, daß Hunger eine Veränderung in den einzelnen Bienen bewirkt, die die Verhaltensentwicklung beschleunigt.

 

Soziales Umfeld entscheidet über Karriere

 

Soziale Wechselbeziehungen zwischen Arbeitsbienen regulieren aber auch die langfristigen Entwicklungen von Sammlerinnen. Huang und Robinson haben gezeigt, daß junge Bienen, aufgezogen in der Anwesenheit von älteren Sammlerinnen, sich langsamer zu Sammlerinnen entwickeln als solche, die nur in Anwesenheit anderer junger Bienen aufgezogen werden. Diese Verlangsamung der Entwicklung tritt unabhängig davon auf, ob es den älteren Sammlerinnen möglich ist, aus dem Stock zu fliegen. Dies deute darauf hin, daß es nicht der Einfluß frischen Nektars und Pollens im Stock ist, sondern die Anwesenheit der Sammlerinnen, die von Bedeutung ist. Andere Experimente zeigten, daß direkter Kontakt zwischen den alten und jungen Bienen nötig ist, damit diese Verlangsamung stattfindet. Nach Huang und Robinson bringen Arbeitsbienen ein Signal hervor, das von älteren Bienen in größeren Mengen durch direkten sozialen Kontakt erzeugt oder übermittelt wird, welches die Verhaltensentwicklung anderer Bienen verlangsamt.

 

Offene Fragen

 

Zusammenfassend kann man sagen, daß Einzelbienen auf Signale im Stock reagieren, die ihnen sagen, welche Aufgaben erledigt werden müssen. Lindauer vermutete, daß jedes Individuum in einem Volk Informationen darüber, welche Aufgaben erledigt werden müssen, selbst wahrnimmt. Neuere Forschungen widerlegen diese Auffassung nicht, aber eröffnen die Möglichkeit, daß einzelne Bedürfnisse des Volkes auch durch soziale Wechselbeziehungen übermittelt werden. Hier sind aber noch viele Fragen offen, so daß es noch genauerer Untersuchungen als den bisher publizierten bedarf.

 

 

 

Literatur

 

[1]

Fewell, Jennifer und Mark Winston: „Colony state and regulation of pollen foraging in the honey bee, Apis mellifera L.“; Behavioral Ecology and Sociabiology 30 (1992), S. 387-393.

[2]

Ferstung, Ferdinand: „Der Einfluß des Alters und des physiologischen Zustandes der Bienen auf den Bestand und die Entwicklung der Völker“; Deutsche Bienenzucht in Theorie und Praxis 1 (1893), Heft 1, S. 11-14; Heft 2, S. 25-28; Heft 3, S. 43-47.

[3]

Lindauer, Martin: „Ein Beitrag zur Frage der Arbeitsteilung im Bienenstaat“; Zeitschrift für vergl. Physiologie, Bd. 34, 1952, S.299-345.

[4]

Schulz, David J.: „How does a honey bee colony know that it is hungry?“; American Bee Journal 139 (1999), Heft 5, S. 377-379.

[5]

Seeley, Thomas D.: „Honigbienen im Mikrokosmos des Bienenstockes“; Basel: Birkhäuser Verlag, 1997.

 

 

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